INFORMELLE GEGENSTÄNDLICHKEIT


Es besteht kein Zweifel, daß wir es in Gerhard Neumaier mit einem sehr charakteristischen und geprägten Künstler zu tun haben, der eine verführerische Gratwanderung zwischen freiem Duktus als Ausdruck spontaner Gestimmtheit und gegenständlicher Bezogenheit vollzieht. (Herwarth Röttgen)

 

 

Informelle Gegenständlichkeit

Herwarth Röttgen

 

muss man über die malerische Produktion Gerhard Neumaiers schreiben und hat damit den Widerspruch in seinen Bildern angesprochen. Diesen Widerspruch möchte ich näher umreißen. Neumaiers Informeller Malgestus ereignet sich als Prozess – und bleibt auch als solcher optisch bewahrt – zwischen den Farben, Tuben,  dem Pinselstiel, Spachteln und Paletten auf der einen Seite und der weiß und glatt beschichteten Leinwand auf der anderen Seite, die fast immer plakativ mit einem lichthaltigen und intensiven, farbig homogenen Grund bedeckt ist. 

Die Methode des Malens ist die des sinnlichen Kontaktes der Farbe mit der Leinwand, beide zueinander vermittelt durch den malerischen Gestus, der eben optisch zwischen den dem Betrachter und dem homogenen Malgrund liegt und sich deutlich von letzterem abhebt.

Materiell auf dem Malgrund, optisch vor dem Malgrund spielt sich ein exzessiver Prozess ab, bei dem die Schönheit der Farben, ihre Eigenwertigkeit, ihre eigenwilligen und raffinierten Mischungen, ihre materielle Fülle und kostbare Pracht ausgelebt und genossen werden. Aus der Tube wird die Farbe auf die Leinwand gedrückt, gezogen, geschliert, verschoben, verrieben, geprägt und wie im Graffito aus- gekratzt. Es entsteht vor dem lichten Grund eine ganz erstaunliche materielle Kostbarkeit, die zwischen optischem Schweben und pastosem Kleben steht. Es entsteht eben jene glänzende und leuchtende Kostbarkeit. Aber was sieht man eigentlich?

Der Deal, oder die heiligen drei Könige als Bankrotteure, 1989, 198 x 198 cm, Öl auf LKW-Plane

Freitag, 1984, Öl auf LKW-Plane, 29 x 20 cm

(Abb.1) wo, 1978, Öl auf LKW-Plane,156 x 260 cm

Neumaiers Bilder Anfang der 80er Jahre (Abb.1) rechneten weniger mit dem homogenen Grund. Ein chaotisches Gewirr von verknäulten, verschlingerten Formen überzog das ganze Bild. Der Informelle Charakter war eindeutiger als heute. In den Bildern ab 1987 kam jener Zug deutlicher heraus, den ich oben beschrieb. Grund und Gestus wurden gegeneinander abgesetzt (‚‘‘Verklappung", 1987;  (Abb. 2)

(Abb. 2) Verklappung, 1987, Öl auf LKW-Plane, 29 x 20 cm

"noch scherzhaft", 1987; abgebildet im: Dental Magazin, April 1988. (Abb. 3) Die Kostbarkeit wurde verstärkt, die gegenständliche Assoziierbarkeit offenkundiger. In den Bildern der jetzigen Ausstellungen ist die Konzentriertheit der gestischen Formen vor dem Grund noch prägnanter. Die Nähe zur Gegenständlichkeit ist verstärkt.

(Abb. 3) noch scherzhaft, 1987, Öl auf LKW-Plane 60 x 60 cm

Die Kostbarkeit der schmuckhaften Farben und der ziselierende und filligrane Duktus der Materie oder ihre wie vom Goldschmied ge- zogenen Fäden üben einen ungeheuren optischen und taktilen Reiz auf das Auge aus. Die Materie wird nicht mehr so informell von der Aktion hin und hergerissen, vom Gestus des Malens – obwohl dies alles  prinzipiell doch Neumaiers  Methode bleibt - ; man bemerkt nun deutlich, daß der Gestus Formen generiert, die die Assoziierbarkeit von Gegenständlichem weite verstärken. Begibt man sich aber auf die Fährte des Suchens, verunklärt sich alles sofort wieder, weil das suchende Auge neu in den Exzess der Informellen Bewegung gerissen wird, der Blick rutscht förmlich in den Schlieren der Materie weg, übrigens eine an Francis Bacons Bildern gemachte Erfahrung, um dann erneut Gegenständliches zu erhaschen, womit das Spiel weitergeht ad infinitum. Das Infinite, das Unvollendete liegt eben in der Endlosigkeit des Wahrnehmungsprozesses in dem erhascht und wieder verloren wird.

die heimliche Tat, 1986, Öl auf LKW-Plane, 60 x 30 cm

Und so wie das Konkrete sich verflüchtigt, den schönen Schein des Kostbaren nicht aufgebend, so entziehen sich auch die Bildtitel, die Neumaier unters Bild ins Bild malt und von denen er sagt, sie seien ‚‘‘ motivierend für die Vorstellung ". Sie erzeugen positive Verwirrung. Sie kontrastierten übrigens auch in ihrer geschmierten Spontaneität zur Kostbarkeit der Bilder, entwerten diese und verunsichern.

exerzieren, 1984, Öl auf LKW-Plane, 29 x 20 cm

Weiß man schon nichts genaues über die informelle Gegenständlichkeit im Bild, so noch weniger über den fragmentierten Inhalt der Titel. Es bleibt das gestische Feuerwerk übrig. Und dieses verbindet Neumaier mit  ganz bestimmten Erfahrungen der Malerei des 20. Jahrhundert. Das Verschlieren, Verrutschen, der Farben erinnert an Francis Bacons (Abb.4) hinsichtlich der Faszination durch undefinierbare Gegenständlichkeit. Die Gestik  des Zusammentreffens von Farbe und Bildträger in der heftigen Aktion ruft die Erfahrungen Georges Mathieus in Erinnerung, die zeichenhafte und explosive Schrift des Informel, die wie ein Menetekel sich auf der Leinwand ausnahm. Aber ebenso fühlt man sich in dem Schieben Graviren der Farbe an Sonderburg erinnert, auch daran, wie die malerische Aktion optisch zwischen Bildgrund und Betrachter steht, in dem der Maler gewissermaßen vor dem Betrachter agiert. Und man darf die Lehre De. Koonings nicht vergessen.

Die konvulsivische Heftigkeit und Verknäuelung mag in Neumaiers Bilder noch an seinen Lehrer Hrdlicka gemahnen.

(Abb.4) Scarto, 1984, Öl auf LKW-Plane, 29 x 20 cm

Es besteht kein Zweifel, daß wir es in Gerhard Neumaier mit einem sehr charakteristischen und geprägten Künstler zu tun haben, der eine verführerische Gratwanderung zwischen freiem Duktus als Austruck spontaner Gestimmtheit und gegenständlicher Bezogenheit vollzieht. Ich gehe in seinen Bildern mit den Augen ins Detail, aber nicht mit den Worten, denn sie könnten ins Abseits des rein Subjektiven rutschen. Dies aber ist in Wirklichkeit  der Sinn der Bilder, zu dem der Maler einlädt. Ich will nicht in seinen Bildern ausrutschen, jedenfalls nicht vor Anderen. Es bleibt bei der Informellen Gegenständlichkeit. 

Die Ausstellung wurde 1990 veranstaltet vom Studium Generale in Zusammenarbeit mit den Instituten der Universität Stuttgart: Institut für Philosophie: Prof. Dr. Max Bense, Institut für Kunstgeschichte: Prof. Dr. Herwarth Röttgen, Institut für Zeichnen und Modellieren: Prof. Wolfgang Knoll. Gestaltung und Druck der Einladung: Institut für Zeichnen und Modellieren

 

Gerhard Neumaier Kunst Baden Baden
info@gerhard-neumaier.de