KOMMENTIERTES

Er malt mit einer vehementen Freude am Rausch des Malakts. Er malt seine „Gemälde“ um des Malens willen, seine Botschaft ist die Malerei und es ist ein Vergnügen, nicht nur seinen selbstbewussten, lustvoll wortreichen Text zu lesen, sondern auch ihn dabei zu beobachten, wie er sich durch die Überraschungen tastet, die er noch weit hinterher auf einem fertigen Bild entdecken kann. (Wibke von Bonin)

Wibke von Bonin

Kommentiertes

 

„Der kreative Akt bekommt einen anderen Aspekt, wenn der Betrachter das Phänomen der Transmutation erfährt; durch die Wandlung der leblosen Materie in ein Kunstwerk hat eine eigentliche Transsubstantiation statt-gefunden, und die Rolle des Betrachters ist die, das Gewicht des Werkes auf der ästhetischen Waage zu bestimmen. 

 

Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen. Der Betrachter bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikationen entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt.“ ( Marcel Duchamp. Die Schriften , Zürich 1981 p. 239f.) 

 

Der Betrachter der Bilder als ihr Vollender. 

Erster Augenschein: Gerhard Neumaiers dramatische Gemälde erzählen von Mord und Totschlag, Reichtum und Verderben.

Beim genaueren Hinsehen: Man erkennt in den großen Tafeln Kommentierungen mehr oder weniger spektakulärer Begebenheiten, auf die die Titel verweisen sowie die Textzeilen, die ihnen beigegeben sind. Zwar hat der Künstler nach eigenem Bekunden die Worte hinzugefügt, damit die Phantasie des Betrachters nicht allzu weit vom gemeinten Wege abkommen möge, doch ist andererseits seine Malerei durch ihren Stil gerade darauf angelegt, vieles im Unklaren zu belassen. Als „informelle Gegen-ständlichkeit“ hat Herwarth Röttgen treffend bezeichnet, was Neumaier in ganz eigener Technik auf den Bildgrund bringt, oder genauer: aus ihm hervorzaubert. Wie ein Bildhauer die Figur aus dem unbestimmten Block schält, so schabt, kratzt, wischt er seine Gebilde aus dem zuvor vielschichtig aufgetragenen Farbgrund, mit mehr oder weniger starkem Druck die jeweilige Oberfläche abtragend, und anschließend vollendet er dann pinselnd, tupfend, stempelnd das, was Gestalt angenommen hat, Assoziationen weckt und nach Verdeutlichung verlangt.

 

„Man bemerkt deutlich, dass der Gestus Formen generiert, die die Assoziierbarkeit von Gegenständlichem weiter verstärken. Begibt man sich aber auf die Fährte des Suchens, verunklärt sich alles sofort wieder, weil das suchende Auge neu in den Exzess der informellen Bewegung gerissen wird, der Blick rutscht förmlich in den Schlieren der Materie weg, … um dann erneut Gegenständliches zu erhaschen, womit das Spiel weitergeht ad infinitum.“ (Herwarth Röttgen, Faltblatt zur Ausstellung G.N. Stuttgart 1989).

 

Dritte Annäherung: Der Kommentator wagt sich suchend ins Spiel. Ihm verrutschen sofort die Ebenen. Er lässt es geschehen, vergnügt sich auf der Bühne, auf dem Schnürboden und im Zuschauerraum zugleich.

(Abb. 1) „Die Vertreibung der Malerei“ Detail

Es geht also um „Die Vertreibung der Malerei“ Detail. (Abb. 1) Die Personen der Handlung sind Marcel Duchamp und Cristofano Allori, Judith und Holofernes, dazu eine weibliche Nebenfigur. Marcel und Judith gehen eine Verbindung ein. Eine liaison dangéreuse. Ihr Komplott ist Mord. Sie enthauptet den Holofernes, und er behauptet, lieber jemanden zu töten, als noch einmal zu malen.

 

Er lässt die beiden auf seinem Bild verschmelzen. Aber dies ist genau der Ort, an den Neumaier den Betrachter führen will. In der Bild- theorie des Surrealismus entspringt der Funke, der die Qualität des (poetischen) Bildes ausmacht, aus der ursprünglichen Distanz der in ihm zusammengebrachten Gegenstände. Höchstes Ziel ist die Hervorbringung von Emotionen. Der gemalte Marcel lässt die Schachfiguren, die dem realen Duchamp an die Stelle des Malens traten, spielerisch um das Pissoir wirbeln, mit dem er als „R. Mutt“ die Kunstszene seiner Sturm- und Drangzeit aufmischte. Er, der die Bescheidenheit selbst und jeder Eitelkeit abhold war, wird von Neumaier in die prächtigen, goldroten Gewänder gehüllt, die seiner Meinung nach der Erhabenheit dieses Magiers angemessen sind. Um diese Illusion der Prachtentfaltung geht es Neumaier vor allem, weniger um die Verifizierbarkeit des abgeschlagenen Hauptes oder gar um die Porträtähnlichkeit der Häupter, die noch an ihrem Platz sitzen, denn diese macht er bewusst unkenntlich und vieldeutig.

(Abb.  2) Hokus Pokus mit Lokus Fokus, 1993, Öl auf LKW-Plane, 196 x 130 cm

Den schaurigen Holofernes-Kopf ebenso wie die des feierlich drapierten Marcel und seiner Schwester (so Neumaier) addiert er ähnlich wie wahrscheinlich seinerzeit Cristofano Allori (Abb. 2) als ihm daran gelegen war, von seiner Geliebten Mazzafirra und deren Mutter ein besonders wirkungsvolles Konterfei zu erstellen. Beide Maler lieben den Prunk. Bei Neumaier wird er von Geheimnis durchwoben und ironisch gebrochen. Seine Malerei echot, so wünscht er, den „Ruf von glänzenden Festen, von nächtlichen, galanten Tänzen und überreich gedeckten Tischen, Geschmeide von Gold und silberne Pokale, rollende Perlen und rauschender Brokat - Scharlach, Safran, Purpur und Azur…“ (G.N., Die vier Quartette des Geistes, 1993).

 

 

Die schöne Judith aus dem Palazzo Pitti lebt im Bildgedächtnis der Jahrhunderte ähnlich wie Holbeins Gesandte, wie Poussins Putti (Abb.3) Davids Marat oder die Unzahl opulenter Stillleben, die den Reichtum der Niederlande in ihrem Goldenen Zeitalter feiern. In Galerien bestaunt, von Kunsthistorikern inte- rpretiert, von Malern kopiert und in zahllosen Reproduktionen gedruckt, ihrer Aura beraubt. Die Gemälde sind zu Bildmaterial geworden, können zitiert, variiert, interpretiert und kommentiert werden. Eben das tut Gerhard Neumaier. Für ihn gibt es keinen Tod der Malerei. 

(Abb. 3 ) Triebhaft-sinnlich, 2004, Öl auf LKW-Plane, 70 x 100 cm

Was aber bleibt dem Kommentator des Kommentierenden, wenn der doch selbst in nicht zu übertreffender Eloquenz sein Malbehagen schildert und zugleich seine Quellen offen legt?

Wenn es das Wesen dieser Kunst ist, dem Betrachter das Fertigstellen seiner eigenen Version zu überlassen, das Suchen und Finden, das Erraten und Kombinieren, das Erkennen und Verwerfen? Er kann hier und da, aus Künstlermund, Literatur und eigener Anschauung ergänzend, die denn doch auffindbare Intention des Künstlers in Worte fassen.

Kann man Holbeins Bild „Die Gesandten“ (Abb. 4) in dem wiederfinden, das Gerhard Neumaier daraus macht? „Retrospektive einer Befindlichkeit“(Abb. 5) betitelt er seine Version und versteht sie als Zeitreise ins dunkle Reich der Melancholie. Er wirbelt die auch im Urbild sinnverschlüsselten Accessoires der Doppelporträtierten mit fast manischer Schaffensfreude durcheinander und fügt hinzu, was ihm der Rakel oder Spachtel im Augenblick der höchsten Konzentration souffliert.

(Abb. 4 u. 5)  Retrospektive einer Befindlichkeit, 2000, Öl auf LKW-Plane, 200 x 200 cm

„Das Malen ist ein Akt ‚heilignüchterner Trunkenheit’, in dem die helle Schärfe des Geistes und der dunkle Rhythmus des Lebens sich lustvoll durchdringen, um durch Krisis und Katharsis die Geburt des Gemäldes zu vollbringen. Das Gemälde aber ist nicht nur Erzeugnis dieses Aktes, sondern auch Zeugnis desselben. Im Gemälde löst sich die klare ‚konkrete’ Gestalt in ein Chaos von Farbe und Linie auf, wie umgekehrt aus diesen ‚abstrakten’ Elementen eine komplexe Form sich bildet.“ (a. a .O.) 

 

Nicht nur dass Neumaier Holbeins Anamorphose in einen wahrhaftigen Schädel zurückverwandelte, er legt dem Abgesandten der inneren Finsternis einen Leichnam in die Arme. Einem Höllenhund gleich habe die Depression ihn angesprungen, so heißt es von Churchill. In Neumaiers Bild wird das Ungetüm verewigt. Und das Textfragment, das die Stimmungslage nur teilweise verdeutlicht? Es stammt, so Neumaier, von Heinrich Marx, dem Vater von Karl Marx, der wegen der politischen Einlassungen seines Sohnes um dessen Seelenheil besorgt war. Offenbar war der Sohn nach einem Saufgelage in eine Depression verfallen.

(Abb. 5) Retrospektive... Detail

„Der Philanthrop konnte sich mit der entstandenen Situation nicht arrangieren“ kann man auf der Texttafel im Bilde lesen. Detail (Abb. 5) Doch zieht er sich, wenn auch zögerlich, am ei- genen Schopfe aus dem Sumpf – es hätte nicht dem Charakter des Malers entsprochen, ihn, und damit den Betrachter, in Schwermut erstarren zu lassen - „und so entschloss er sich zu beginnen und den Umbau der Gesellschaft zu wagen.“ Ende gut, alles gut? Dies ist nicht der Ort über das Schicksal des Marxismus zu grübeln. Es ist jedem überlassen, sich auf Globus, Kaktus, Hakenkreuze, auf Maske, Blatt und Amulette seinen eigenen Reim zu machen, dem Bellen des Höllenhundes in sich nachzulauschen oder das leuchtende Grün im rechten Bildteil als Zeichen der Hoffnung zu empfinden. 

 

Der Schauerspiele ist kein Ende. Das nächste Mordopfer ist der Präsident des Jacobinerclubs Jean Paul Marat, beteiligt an den Septembermorden von 1792, erstochen 1793 von der fünfundzwanzigjährigen Royalistin Charlotte Corday, die vier Tage später hingerichtet wurde. Sie hatte gehofft, dem Terror der Guillotinierungen ein Ende zu machen.

Der politisch auf der Revolutionsseite engagierte Maler Jacques- Louis David malte den Tod des Marat als Ikone der Revolution (Abb. 6) und wurde dessen Nachfolger an der Spitze des Clubs.

(Abb. 6 u. 7) Eine Erinnerung an die Erinnerung, 1993, Öl auf KKW-Plane, 120 x 120 cm

Marat litt an einer juckenden Hautkrankheit, die nur im Wasser Linderung fand, so hatte er sein Büro ins Bad verlegt, wo er der couragierten Demoiselle erlag. Während David die Fakten in feierlicher Statik notiert, dramatisiert Neumaier seine spiegelbildliche Wiedergabe (Abb. 7) des Geschehens aufs wildeste, lässt das Opfer kopflos, bäuchlings, mit Blut verschmiertem Arm in der von Schreibutensilien überhäuften Wanne liegen. An der linken Bildseite hängende Kleidungsstücke und die schattenhaft davoneilende Mörderin vermögen dem kein rechtes Gegengewicht zu bieten. Doch der revolutionäre Gedanke überlebt ganz offensichtlich. Davon zeugen nicht zuletzt die Marat-Zitate, die fast die Hälfte der Bildflächen einnehmen.

 

Und schliesslich kommen wir zur „Macht der leblosen Natur über die Gemüter“. Nature morte , Stillleben. „Oh Trost für die gekränkte Seele“ (Abb. 8) Doch keinerlei Totenruhe kehrt ein. Zwischen zwei erläuternden Textblöcken ist das wilde Gemälde gleichsam

domestiziert. Wie eine Abbildung auf einer unendlich vergrößerten Seite in einem Lexikon.

(Abb. 8) oh Trost für die gekränkte Seele, 1997, Öl auf LKW-Plane, 170 x 120 cm

Nicht auf ein bestimmtes Urbild bezieht sich Neumaier mit diesem Werk, sondern ganz allgemein auf die holländischen Prunkstillleben des 17. Jahrhunderts. Ohne Zweifel gibt es kaum ein lohnenderes Sujet für diesen Beherrscher seiner Mittel. Das Auge schwelgt in Vermutungen über die Darstellung von Vegetativem, Metallenem, Textilem; von Globen, Schalen und Früchten, es kann sich kaum satt sehen an der verwirrenden Opulenz des hier Angehäuften. (Abb. 8) Gerhard Neumaier ist in seinem Element. Das Textfragment entnimmt er dem Kunsthistoriker Karl Schnaase, der sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem um 1600 aus der Spekulation mit Tulpenzwiebeln gewonnenen Reichtum der Holländer und seinem Niederschlag in der Stilllebenmalerei  befasste. Als Interpretationshilfe sei das schon gemeint, lässt sich der Künstler im Gespräch ent- locken. Indem er seine wilde Anhäufung von undefinierbarem Gerümpel mit einer Zwiebel krönt, ironisiert Neumaier, will man ihm moralisch kommen, die Warenwelt auch unserer Tage…

Hat er doch beizeiten auf den „zauberischen Schein“ verwiesen, den hervorzubringen sein Metier ist. „Dies ist die Vergangenheit, in der ich stehe; die Tradition, der ich mich stelle; der Hintergrund aus dem ich trete. Dies ist die Bühne, auf der das Drama sich ereignet: Tragödie oder Komödie, Posse und Farce, Mummenschanz und Maskenzug. Dies ist der gespannte Bogen, von dem ich mich löse im Malen.“ (a. a. O.)

Gerhard Neumaier Kunst Baden Baden
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